Ngawang Lobsang Gyatso, 1617 – 1682
Zur Zeit des politischen Niedergangs der Phagmodru (tib.: phag mo gru)-Regierung in Tibet sicherte sich der 5. Dalai Lama die politische Vormachtstellung der Gelug-Schule durch ein Bündnis mit dem Mongolen Gushri Khan, dem Führer der Qoshoten. Gushri Khan schlug eine Revolte des Königs von Tsang Tenkyong Wangpo (1606–1642), einem Anhänger des 10. Karmapa, militärisch nieder und sicherte dem Dalai Lama 1647 die weltliche Macht über Tibet. Auf diese Weise gewann der 5. Dalai Lama für die erstaunlich lange Zeit von knapp 250 Jahren die politische Stabilität und den Frieden Tibets. Die an dem Konflikt beteiligte Karma-Kagyü-Schule wurde in der Provinz Tsang stark verfolgt. Auch die Schule der Jonangpa wurde verfolgt und vom 5. Dalai Lama in den Zentralprovinzen Tibets als häretisch verboten. Offiziell geschah dies aufgrund einer falschen philosophischen Sichtweise zur „Leerheit“ (Shunyata), einem der Grundpfeiler der buddhistischen Lehre, möglicherweise spielten aber auch politische Gründe eine Rolle. 1653 besuchte der 5. Dalai Lama Peking, die Hauptstadt der Qing-Dynastie. Kaiser Shunzhi gewährte ihm am 9. Februar eine Audienz. In der Audienzhalle saß Ngawang Lobsang Gyatsho rechts neben dem knapp 15-jährigen Kaiser auf einem Thron. Dieser verlieh ihm den Titel „Hervorragender, aus sich selbst existierender Buddha des Westens“[1] sowie ein goldenes Amtssiegel und schenkte ihm ein Album aus Gold. Als Gegengabe verlieh der Dalai Lama dem Kaiser auf einer goldenen Tafel den Titel „Großer Meister, Allerhöchster, Gott des Himmels und Bodhisattva“.
Bedeutender geistlicher Lehrer verschiedener Traditionen
Der 5. Dalai Lama war aber nicht nur ein bedeutender Gelug-Linienhalter und ein befähigter Staatsmann, sondern auch Linienhalter einiger Nyingma-Übertragungen, insbesondere der der „Nördlichen Schätze“ und Tertön. Tertöns sind „Schatzfinder“ von versteckten Lehren, Ritualgegenständen und Reliquien, die Padmasambhava - der Begründer der Nyingma - und seine engsten Schüler im 9. Jahrhundert verborgen hatten. Von den „Schatz-Lehren“ (Terma) des 5. Dalai Lama sind insbesondere die Dzogchen-Lehren aus einer Enthüllungen in reiner Vision des Gyachen Nyer Nga („fünfundzwanzig versiegelte Belehrungen“ ) bekannt. Bekannt ist auch die Ermächtigung von Padmasambhava und seiner acht Manifestationen, die er der Sage nach als Vision direkt von Padmasambhava erhalten hat. [2] Auf Geheiß des 5. Dalai Lama gründeten einige seiner Schüler verschiedene Klöster der Nyingma-Tradition in der tibetischen Provinz Kham.
Potala-Palast und das Kloster Nechung
Im Jahr 1645 wurde mit der Errichtung des Potala-Palastes begonnen, der erst 1693 nach dem Tod des 5. Dalai Lama fertiggestellt wurde. Auch das Kloster Nechung wurde errichtet, da nach einer Legende die Gottheit Pekar, ehemals Hauptschutzgottheit des Klosters Samye, nach Nechung wechselte. Dort soll sie sich seit dieser Zeit als „Nechung-Orakel“, zugleich „Staatsorakel der tibetischen Regierung“, offenbaren.
Verleihung des Titels Penchen Lama
Als wichtigem geistlichem Vertreter der Gelugpa wurde seinem Lehrer Lobsang Chökyi Gyeltshen (1570–1662) der Titel „Penchen Lama“ verliehen. Der Penchen Lama gilt seit dieser Zeit als zweithöchster Trülku innerhalb der Hierarchie des Gelug-Ordens, obwohl er als Inkarnation Amitabhas – also als geistiger „Ziehvater“ Avalokiteshvaras – gesehen wird.