Dalai Lama in Prag – Beifall auf der Straße, Unruhe bei den Politspitzen
Der Dalai Lama reiste am Montag direkt vom Flughafen auf den Hradschiner Platz. Dort warteten kurz nach Mittag schon rund 1500 Menschen auf ihn, viele von ihnen hielten tibetische Flaggen in den Händen.
Mit großem Beifall wurde der Friedensnobelpreisträger von der Menschenmenge begrüßt. Auf dem Podium lösten sich Persönlichkeiten aus Kultur und Kirche sowie Vertreter von Hilfsorganisationen ab, die sich in Tibet engagieren. Auch die ehemalige Dissidentin und frühere Sprecherin der Charta 77, Dana Němcová, richtete ihre Worte an den Dalai Lama:
„Ich möchte Ihnen im Namen aller derjenigen danken, die sich hier versammelt haben: dafür, dass Sie sich Zeit genommen haben. Ich bin davon überzeugt, dass der Hradschiner Platz voll von Menschen wäre, wenn das Treffen nicht mitten am Tag stattfinden würde. Die enge Beziehung zu Ihnen und dem tibetischen Volk verstehen wir nicht nur als ein Vermächtnis unseres so geschätzten Václav Havel, sondern wir sehen darin auch eine Herausforderung für die gemeinsame Zukunft aller Menschen guten Willens.“
Das Treffen des Dalai Lama mit der Öffentlichkeit wurde vom Verein „Češi Tibet podporují“ (Tschechen unterstützen Tibet) veranstaltet. Die Präsidentenkanzlei erlaubte den Organisatoren aber nicht, ein Podium direkt auf dem Hradschiner Platz aufzubauen. Deswegen sprang die Nationalgalerie ein und bot ihnen den Raum vor dem Eingang in ihre Dauerausstellungen an.
Die Redner erwähnten den ersten Besuch des Dalai Lama in Prag vor 26 Jahren, er kam auf Einladung von Václav Havel. Der Tibeter erinnerte daher auch selbst an seinen verstorbenen Freund.
„Auch wenn er physisch nicht mehr unter uns weilt, ist etwas von ihm geblieben: Das sind seine Gedanken und Ideale. Dieses Potenzial sollten wir hoch schätzen. Es liegt in unserer Verantwortung, seine Bemühungen weiterzuentwickeln. Eine meiner Verpflichtungen ist es, überall dort, wo ich hinkomme, für die grundlegenden menschlichen Werte zu werben.“
In seiner Rede erklärte der Friedensnobelpreisträger, er schätze besonders den Gedanken der Europäischen Union.
„Völker, die in den vergangenen Jahrhunderten Kriege gegeneinander geführt haben, waren nach dem Zweiten Weltkrieg in der Lage, sich auf eine Idee zu einigen. Aus dieser Idee ist die Europäische Union emporgewachsen, die ich bewundere. Ich stelle mir vor, dass eine derartige Union auch einmal zwischen den verfeindeten Völkern Afrikas oder Asiens entstehen könnte. Und von einer solchen Union träumen wir, die schließlich die Völker der ganzen Welt umfassen würde.“
Der Dalai Lama nahm auch an einigen Diskussionsrunden auf der Demokratiekonferenz „Forum 2000“ teil. Er sagte unter anderem, es sei ein großer Fehler, eine Religion mit dem Terrorismus in Verbindung zu setzen. Wenn jemand Massenmorde verübe, könne er kein wirklicher Muslim sein, so der Dalai Lama. In der heutigen Welt gebe es sehr viele Probleme, er habe aber den Eindruck, dass sich die Lage im Vergleich zu früher zu verbessern beginne:
„Wenn ich mich mit Problemen auseinandersetzen muss, versuche ich, sie aus einer breiteren und langfristigen Perspektive zu beurteilen. Dann sehe ich auch viel Positives.“
Am Dienstagvormittag empfing Kulturminister Daniel Herman den Dalai Lama. An dem Treffen im nahmen auch einige Parlamentarier der Christdemokraten teil. Premier Bohuslav Sobotka (Sozialdemokraten) ging jedoch auf Distanz und bezeichnete das Treffen als Privatinitiative des Ministers. Kurz zuvor hatte Daniel Herman im Tschechischen Rundfunk betont:
Herman hält das Treffen mit dem Dalai Lama auch für logisch. Dieser gehöre zu den wenigen moralischen Autoritäten in der heutigen Welt, die er sehr schätze, so der Minister:
„Ich schätze auch alle bisherigen Begegnungen mit ihm sehr. Er war in diesem Land immer sehr willkommen. Ich will, dass dem auch weiterhin so ist.“
Spitzenpolitiker versichern China ihre Loyalität
Einige Stunden nach Daniel Hermans Zusammenkunft mit dem tibetischen Friedensnobelpreisträger veröffentlichte die Präsidentenkanzlei eine Erklärung, die vier führende tschechische Politiker unterzeichnet haben: Präsident Miloš Zeman, Premier Bohuslav Sobotka und seine sozialdemokratischen Parteikollegen, die Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern, Milan Štěch und Jan Hamáček. Sie versicherten China in dem Dokument, die persönlichen Aktivitäten einiger tschechischer Politiker seien kein Anzeichen dafür, dass sich die offizielle Politik des Landes ändere. Die Beziehungen zwischen Tschechien und der Volksrepublik bezeichneten sie als nutzbringend, und es läge im Interesse des Landes, diese weiter auszubauen. Weiter steht in der Erklärung, Zitat:
„Wir möchten gemeinsam betonen, dass unser Land bei der Erfüllung seiner langfristigen Politik gegenüber der Volksrepublik China von den Prinzipien der strategischen Partnerschaft zwischen den beiden Ländern ausgeht.“
Kulturminister Daniel Herman reagierte via Twitter mit den Worten:
„Wenn führende Vertreter den Bedarf haben, sich zu einer Begegnung des Kulturministers mit einem Geistlichen zu äußern, um die Partnerschaft zu „retten“, steht dann diese nicht auf tönernen Füßen?“
Auf die Erklärung der vier staatsführenden Politiker haben mittlerweile mehrere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens reagiert. Michael Žantovský arbeitete Jahre lang als Diplomat und leitet zurzeit die Prager Václav-Havel-Bibliothek. Er äußerte sich bei einer Diskussion im öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen. Zu dieser waren auch Vertreter der Präsidentenkanzlei eingeladen, sie lehnten jedoch ab, an der Debatte teilzunehmen. Žantovský sagte, er verstehe gar nicht, warum Politiker den Bedarf hätten, eine derartige Erklärung zu veröffentlichen.
„Der Dalai Lama hat es doch einige Mal gesagt, dass er die territoriale Integrität Chinas nicht in Frage stellt. Er kommt zu Besuch als geistiger und nicht als politischer Vertreter. Die ganze Erklärung ist völlig absurd. Mich verblüfft daran vor allem, dass dort der Begriff der ‚strategischen Partnerschaft‘ benutzt wird. Soviel ich weiß, wird im Konzept der tschechischen Außenpolitik, nach dem sich die Außenpolitik ja richtet, keine strategische Partnerschaft mit China genannt. Die Handelsbeziehungen mit der Volksrepublik sind wichtig, das schon, und ihr Ausbau ist wünschenswert. Aber eine strategische Partnerschaft haben wir mit den EU-Ländern und den Verbündeten in der Nato. Ich weiß nichts davon, dass die Regierung eine Politik der strategischen Partnerschaft mit China verabschiedet hätte.“
Auch Ex-Außenminister Cyril Svoboda war erstaunt über das Dokument. Er sagte, die tschechisch-chinesischen Beziehungen dürften nicht viel wert sein, wenn sie durch den Besuch einer Privatperson gefährdet sein sollen.
„Ich bin paradoxerweise einigermaßen froh, dass der Besuch für ein solches Aufsehen gesorgt hat. Viele Menschen haben endlich gehört oder gelesen, was der Dalai Lama bei den Diskussionen gesagt hat. Das hätten sie vermutlich nie, wenn es kein derartiges Spektakel um den Besuch gegeben hätte.“
Michael Žantovský zeigte dabei Verständnis für den Kulturminister. Ihm zufolge ist Daniel Herman in der Regierung für die Kirchen und Religionsgemeinschaften verantwortlich. Darum sehe er nichts Schlechtes an einer Begegnung mit dem tibetischen geistigen Oberhaupt, so Žantovský:
„Was ich aber schlecht finde, ist die Tatsache, dass wir in einem Land leben, das nicht genügend Selbstbewusstsein hat, um gute Beziehungen mit China zu pflegen und dabei einen geistigen Vertreter der Tibeter zu empfangen. Die Menschenrechte des tibetischen Volkes werden durch China verletzt. Die Respektierung der Menschenrechte war eine Zeit lang Bestandteil der tschechischen Außenpolitik. Wenn wir auf jene Werte verzichten, die wir nach der Wende von 1989 akzeptiert haben, ist es für mich ein Rätsel, welchen Weg wir nun eigentlich gehen.“
Während Václav Havel mehrfach mit dem Dalai Lama zusammengetroffen ist, sind seine Nachfolger im Präsidentenamt, Václav Klaus und Miloš Zeman, dem geistlichen Oberhaupt der Tibeter nicht ein einziges Mal begegnet. Der Friedensnobelpreisträger will trotzdem wieder nach Prag kommen. Dies bestätigte er zum Abschluss seines Treffens mit der Öffentlichkeit auf dem Hradschiner Platz:
„Wir sehen uns nächstes Jahr wieder.“
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