Dalai Lama zu Besuch in Rikon
Am Mittwochmorgen ist die sonst so beschauliche Wildbergstrasse eine Volksfestmeile. Hunderte Tibeter – und ein paar Schweizer – nehmen den Aufstieg zum Kloster unter die Füsse. In kleinen und grossen Gruppen sind sie unterwegs. «Tashi Delek» ist immer wieder zu hören, die tibetische Standardbegrüssung. Man kennt sich. Fast ausnahmslos haben die Tibeter ihre schönste Tracht, die «Chuba», angezogen. Es ist ein Festtag für sie– der Tag, an dem ihr religiöses Oberhaupt das Kloster Rikon besucht.
8 Uhr. In einer Stunde soll der Dalai Lama ankommen. Schon jetzt stehen sich die Leute beidseits der Strasse die Beine in den Bauch. Nur wenige Meter ist das Asphaltband breit, auf dem der Dalai Lama bald schreiten wird. Er wird zum Anfassen nah sein. In den Gesichter liegt freudige Anspannung.
Die Kantonspolizei zeigt Präsenz – dezent, aber unübersehbar. Ein Zivilpolizist mustert die wartende Menge. Die Hände müssen aus den Hosentaschen, weist er einen Wartenden an. Auch die Sicherheitsleute des Dalai Lama machen sich bemerkbar: Sie halten die Leute an, sich zu verteilen und nicht in Zweierreihen hinzustehen. «Move, Move!», raunt er einer gar gemütlich wandernden Gruppe zu.
Im Wald sind Bläserklänge zu hören: letzte Proben für den Einsatz der rituellen tibetischen Trompeten, Dung genannt. Vor dem Kloster wird eine Tanzgruppe aktiv. Die jungen Tibeter sind in besonders farbenprächtige Trachten gekleidet, die Frauen tragen extravagante Hüte. Zu den Klängen von Tschinelle und Trommel zeigt das tibetische Folklore-Ensemble seine Künste. Ihr Taktgeber ist Tenzin Rabsel aus Pfäffikon. Später, beim Empfang, werden sie Masken aufsetzen und den «Blaumasken-Tanz» zeigen. Eine rituelle Angelegenheit: Der Platz muss gereinigt werden, bevor der Dalai Lama ihn beschreitet. Ein Polizeiwagen bahnt sich einen Weg durch die Menge, ohne Sirene, aber mit blinkenden Lichtern. Die Leute zünden Räucherstäbchen an und nehmen ihre Willkommensschals zur Hand.
Glaubt man einem tibetischen Kinderlied, fliegt der Dalai Lama in einem goldenen Flugzeug und fährt in einem diamantbesetzen Auto. In Rikon kommt er zu Fuss – in einer Selbstverständlichkeit. Hektisch wird es nur um ihn herum: Immer wieder aufs Neue schwellt die Menschentraube entlang des Weges an. Er berührt einige Glückliche am Kopf, gibt Unterschriften. Die Menschen verneigen sich und halten ihm ihre Glückschals entgegen, sichtlich ergriffen und ergeben.
Es dauert seine Zeit, bis der Dalai Lama die Pforte des Klosters erreicht und sich der Rummel legt. Tenzin Rabsels Tänzer haben ihr Tagwerk getan. Es ist bereits das dritte Mal innert weniger Tage, dass seine Tanzgruppe für den Dalai Lama auftritt. «Aber wir sind immer wieder aufs Neue nervös. Am schwierigsten ist es, sich dazu zu zwingen, weiterzutanzen, wenn der Dalai Lama vorbeigeht. Denn man steht unweigerlich still und verbeugt sich.» Rabsel ist erleichtert. «Und wie», sagt er und zieht an seiner Zigarette.
Als der Dalai Lama im Innern des Klosters verschwindet zerstreut sich die Menge nicht. Die nehmen im Klostergarten Platz, wo die Ausführungen des Dalai Lama über Musikboxen übertragen werden. Und nicht wenige verharren am Strassenrand – darauf hoffend, dass sie nach dem Klosterbesuch noch einmal einen Blick auf ihr Oberhaupt erhaschen.
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