Ritualisierte Empörung der Chinesen - Peking zürnt Obama wegen des Dalai Lama


Vor einer Woche hatten die chinesischen offiziösen Kommentatoren nach dem Besuch des amerikanischen Aussenministers Kerry weitere Schritte hin zum angeblich «neuen Grossmächte-Verhältnis» zwischen China und den Vereinigten Staaten ausgemacht. Nur das Treffen Kerrys mit Bloggern in Peking und sein Aufruf, die Zensur im Internet abzuschaffen, wurden als Einmischung empfunden. Den Empfang des Dalai Lama, des geistigen Oberhaupts der Tibeter, durch Präsident Obama empfindet Peking nun aber als unnötige Brüskierung.
Die übliche Rhetorik
Die Reaktion des chinesischen Aussenministeriums war so prompt wie ritualisiert. Die Begegnung Obamas mit dem Dalai Lama sei eine Einmischung in innere Angelegenheiten und ein Verstoss gegen Normen in den internationalen Beziehungen. Sie werde das amerikanisch-chinesische Verhältnis ernstlich beschädigen, sagte die Sprecherin Hua Chunying. Dass das Verlangen, das Weisse Haus solle das Treffen wieder absagen, genauso wie die ewiggleiche Rhetorik eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Amerikas ist und zudem eher pubertär wirkt, müssten die Chinesen mittlerweile gemerkt haben.
Obama hatte den Dalai Lama bisher zweimal empfangen, jedes Mal nicht in seinem offiziellen Büro, dem Oval Office, sondern im Kartenzimmer des Weissen Hauses. Nach diesen und früheren Treffen mit amerikanischen Präsidenten hatte das Aussenministerium in Peking alternierend eine geharnischte Presseerklärung veröffentlicht oder den Botschafter einbestellt. Nachhaltigen Schaden erlitten die Beziehungen dadurch nicht. Aus dem Nationalen Sicherheitsrat der USA hiess es, Amerika halte Tibet für einen integralen Bestandteil Chinas, teile aber die Sorge des Dalai Lama um die Menschenrechtssituation in der Region und dessen Wunsch nach mehr Autonomie. Peking dagegen betont stets, der Dalai Lama unterstütze sezessionistische Kräfte; er sei ein Wolf im Schafspelz. Das in den tibetisch besiedelten Gebieten Chinas trotz Bilderverbot weitherum geachtete spirituelle Oberhaupt hat sich aber schon lange von Unabhängigkeitsforderungen gelöst.
Ächtung und Kotau
Das Treffen Obamas mit dem Dalai Lama ist insofern nicht selbstverständlich, als es China mittlerweile immer besser gelingt, seine eigene politische Perspektive anderen Staaten aufzudrängen. Nachdem der britische Premierminister Cameron 2012 den Dalai Lama empfangen hatte, waren hohe britische Politiker für anderthalb Jahre in China geächtet. Mit umso grösserem Kotau kehrte Cameron im Dezember als Handelsreisender zurück und versagte sich jede politisch heikle Äusserung. Um die heimische Wirtschaft nicht zu verärgern, verzichten deshalb viele europäische Politiker auf ein Treffen mit dem Tibeter. Der chinesische Umgang mit dem Thema illustriert ein grundlegendes Problem der chinesischen Diplomatie. Peking beharrt zunehmend auf der Achtung seiner «Kerninteressen» und politischen Positionen. Dass andere Staaten genauso klare Prinzipien – in ihrem Fall in Bezug auf Freiheit und Bürgerrechte – vertreten, goutiert China umgekehrt nicht. Ein Grossmächte-Verhältnis, wie es der Volksrepublik vorschwebt, muss das allerdings aushalten können.
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