Tibetischer Buddhismus
(quelle Tibetisches Zentrum)
Der tibetische Buddhismus ist ein Zweig des Mahayana-Buddhismus. S.H. der Dalai Lama ist einer seiner prominentesten Vertreter. Der Dalai Lama hebt als besonderes Charakteristikum des tibetischen Buddhismus die starke Anlehnung an den indischen Buddhismus hervor. Demnach enthält die tibetische Tradition die wesentlichen Lehren aller buddhistischen Übungswege, also des Theravada und Mahayana, einschließlich des Tantra.
Alle tibetischen Traditonen lehren die Vier Wahrheiten, das Große Mitgefühl, den Erleuchtungsgeist, also das Streben nach Erleuchtung zum Wohle aller Lebewesen, und die Weisheit als Mittel, den Geist von allen Täuschungen zu befreien. Was die Weisheit betrifft, so folgt der tibetische Buddhismus den Lehren des großen indischen Meisters Nagarjuna von Abhängigem Entstehen und Leerheit.
Darüber hinaus ist es ein Merkmal des tibetischen Buddhismus, dass er die Übungen von Sutra und Tantra integriert. Auf der Basis eines guten Verständnisses und ausgedehnter Praxis des allgemeinen Pfades nehmen die Übenden Initiationen und praktizieren tantrische Meditationen. Die Kombination dieser beiden ist aus Sicht tibetischer Meister nötig, wenn man die vollkommene Erleuchtung eines Buddha verwirklichen möchte.
Historische Entwicklung
Nach Tibet kam der Buddhismus ab dem 7. Jahrhundert. Die Übertragung der Lehre aus Indien vollzog sich in einem über Jahrhunderte währenden Prozess. Die Tibeter kreierten für die Überlieferung des Dharma eine eigene Schrift und fertigten Übersetzungen der Buddha-Worte und Kommentare indischer Meister an. So gelang es ihnen, alle wichtigen Lehren und Übungsmethoden des Buddhismus exakt und vollständig in den tibetischen Kulturraum zu übernehmen.
Nach der Invasion der Moslems in Indien im 12. Jahrhundert kam der Austausch zwischen Indien und Tibet zum Erliegen. So entwickelte sich der Buddhismus in Tibet eigenständig weiter, und die vier großen Schulen des tibetischen Buddhismus entstanden: die Nyingma-Tradition, die Kagyü-Tradition, die Sakya-Tradition und die Gelug-Tradition.
Ein großer Einschnitt für den tibetischen Buddhismus war die chinesische Invasion 1949/50. Im Zuge der Unterdrückung musste der Dalai Lama 1959 ins Exil nach Indien fliehen. Mit ihm verließ auch die intellektuelle Elite Tibets ihre Heimat, und große tibetische Meister siedelten sich in Indien, Europa und den USA an.
In Indien ging man mit großem Erfolg daran, die großen tibetischen Klosteruniversitäten wiederaufzubauen und die buddhistische Tradition lebendig zu halten. In Europa und den USA entstanden in Kooperation mit tibetischen Meistern buddhistische Zentren, die den Buddhismus authentisch vermitteln.
Buddhistisches Tantra
Weisheit und Methode sind die Säulen aller buddhistischen Traditionen. Das buddhistische Tantra lehrt besonders ausgefeilte Techniken und Yoga-Übungen, um Weisheit und Methode zu vereinigen. In der tantrischen Meditation wird mit tiefen Schichten des Bewusstseins gearbeitet. Da diese für einen gewöhnlichen Menschen schwer zugänglich sind, gilt das Tantra als besonders schwierige und fortgeschrittene Praxis.
Geshe Thubten Ngawang (1932-003), ehemaliger Leiter des Tibetischen Zentrums in Hamburg, sagte dazu „Die vollständige Überwindung aller Hindernisse im äußerst subtilen, angeborenen Geist ist wohl nur durch das buddhistische Tantra möglich, denn dazu muss man die endgültige Natur dieses subtilen Geistes verstehen und darüber meditieren. Mir ist nicht bekannt, dass so etwas in anderen, nicht-buddhistischen Tantras erklärt wird.“
Reine Wahrnehmungen
Das Tantra macht es sich zunutze, dass die Wirklichkeit sehr stark von der Wahrnehmung geprägt ist. Was Menschen normalerweise als „real“ empfinden, hängt von ihrer gewöhnlichen, meist unreinen Sichtweise ab. Wer sich an reine, glückselige Wahrnehmungen gewöhnt, wie ein sie Buddha hat, kann seinen Geist läutern; er wird die Welt dadurch anders erleben und sich in seinem Handeln stärker von Mitgefühl und Weisheit leiten lassen. Darum geht es im buddhistischen Tantra.
Indem man sich in der Meditation nicht wie gewöhnlich mit den negativen Aspekten seiner Persönlichkeit identifiziert, sondern mit den Tugenden eines Buddha, nähert man sich diesem Zustand schneller an, sofern man die Voraussetzungen für diese fortgeschrittene Praxis mitbringt.
Voraussetzung für die Übung des Tantra ist Erfahrung in den grundlegenden buddhistischen Inhalten wie Tod und Vergänglichkeit, Karma und Wiedergeburt, die Vier Wahrheiten, Mitgefühl und Weisheit. Die Anleitung durch einen qualifizierten Meister ist unerlässlich. Im Tantra, zu dem man nur durch eine Initiation durch einen Meister überhaupt Zugang erhält, wird das gute Verhältnis zum Lehrer besonders hervorgehoben. Bei den schwierigen Meditationen, besonders auch mit den tieferen Schichten des Geistes, braucht man fachkundige Führer, um nicht vom Weg abzukommen.
Im Tantra gibt es eine reiche, tiefgründige Symbolik. Die Vereinigung männlicher und weiblicher Gottheit, wie man sie in tibetischen Tempeln auf Rollbildern und in Form von Statuen findet, steht für die Einheit von Methode und Weisheit. Alle Attribute der Meditationsgottheit, zum Beispiel Handattribute, symbolisieren buddhistische Tugenden, mit denen sich der Übenden in der Meditation identifiziert.